Bildbeschreibung: Da Foto zeigt den Plenarsaal des Landtages Brandenburg ohne anwesende Abgeordnete. Man erkennt die moderne Einrichtung in den Landesfarben: weiße Tische und rote Stühle. (Copyright: CC BY-SA 3.0, Ralf Roletschek für Wikipedia)

Brandenburgs Landtag fit machen für Krisenzeiten

Fragen und Antworten zu den aktuellen Beschlüssen

Bei der Sitzung am 1. April hat der Landtag auf Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen, seine Geschäftsordnung zu ändern, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments während eines Krisenfalls wie der aktuellen COVID-19-Pandemie zu bewahren. Des Weiteren haben wir den Entschließungsantrag „Parlamentarische Rechte sicherstellen – auch in Krisenzeiten“ eingebracht. Er zeigt Vorschläge auf, wie wir den Parlamentsbetrieb und damit unsere Demokratie für künftige außergewöhnliche Notlagen absichern – damit in so einem Fall nicht erneut Sonderregeln unter enormem Zeitdruck und mit abgekürzten parlamentarischen Verfahren durchgepeitscht werden müssen.

Die Änderungen und Vorschläge betreffen die Beschlussfähigkeit des Landtages. Ein demokratisch hochsensibles Thema, das aus gutem Grund normalerweise in einem mehrstufigen Verfahren sehr ausführlich diskutiert wird, um alle Eventualitäten abzuwägen und absolut sicherzustellen, dass keine ungewollten Gefahren für unsere Demokratie entstehen. Ich habe mich in den letzten Tagen sehr dafür eingesetzt, dass wir zeitgleich mit der befristeten Änderung der Geschäftsordnung auch den Entschließungsantrag zum weiteren Vorgehen einbringen.

An dieser Stelle möchte ich Fragen zu beiden Beschlüssen beantworten. Sollte es weitere offene Punkte geben, dann darf gern an mich und mein Team unter kontakt@marie-schaeffer.de geschrieben werden und wir ergänzen den Text.

Links zu den relevanten Dokumenten:

Wieso wird die Geschäftsordnung geändert?

Die Geschäftsordnung des Landtages regelt, wie Sitzungen stattfinden, nach welchen Regeln Anträge eingebracht werden können und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der Landtag beschlussfähig ist. Nach Paragraf 61 der Geschäftsordnung ist der Landtag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Diese Regel ist sinnvoll und in normalen Zeiten unumstritten. In Krisenzeiten wie dieser kann sie jedoch zum Problem werden, wenn zu viele Abgeordnete bei einer Plenarsitzung fehlen, weil sie beispielsweise an COVID-19 erkrankt sind oder als Kontaktpersonen von Erkrankten in Quarantäne gehen müssen.

Wie genau wird die Geschäftsordnung geändert?

Der Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung widmet sich dem Paragrafen 61, der nun auch die „Beschlussfähigkeit in außergewöhnlichen Notlagen“ sicherstellen soll. Die Neuformulierung ist deutlich umfangreicher und beschreibt ein eng umrissenes Szenario für den Fall, dass das Präsidium des Landtages eine außergewöhnliche Notlage festgestellt hat. Sie legt fest, dass der Landtag auch dann beschlussfähig ist, wenn mindestens 23 Mitglieder anwesend sind.

Es dürfen jedoch nicht beliebige 23 Abgeordnete sein, denn die Stärkeverhältnisse des Landtages, seiner Fraktionen und Gruppen sollen gewahrt bleiben. Ist das nicht gegeben, kann eine benachteiligte Fraktion dies rügen und dadurch die Beschlussfähigkeit verhindern. Bleibt eine Fraktion komplett fern, ohne vorher das Einverständnis gegeben zu haben, dass dennoch getagt werden kann. Dann ist das verkleinerte Parlament ebenfalls nicht beschlussfähig. Ein Missbrauch dieser neuen Regelung ist damit beinahe ausgeschlossen, da jede einzelne Fraktion die Sitzung verhindern kann, wenn sie meint, einen Missbrauch zu sehen.

Was ist eine “außergewöhnliche Notlage”?

Der neue Paragraf 61a definiert das Vorliegen einer „außergewöhnlichen Notlage“ als den Fall, wenn eine erhebliche Anzahl der Mitglieder des Landtages aufgrund einer außergewöhnlichen Gefahren- oder Schadenslage – wie Pandemien, Naturkatastrophen oder der Eintritt des Verteidigungsfalls – daran gehindert ist, an den Sitzungen persönlich teilzunehmen.

Interpretationssache bleibt, was eine „erhebliche Anzahl“ ist. In der Debatte zum Antrag wurde kritisiert, dass dies klarer definiert werden muss. Warum wurde das bisher nicht getan? – Weil es schwer zu bestimmen ist, wann dieser Fall genau eintritt. Die einfachste Lösung wäre festzulegen, dass ab voraussichtlich 50 Prozent verhinderter Abgeordneter eine Notlage besteht. Allerdings ist es möglich, dass selbst bei 70 Prozent Anwesenheit die Wahrung der Stärkeverhältnisse der Fraktionen und damit des Wählerwillens nicht mehr gewährleistet ist, zum Beispiel wenn bei einer Fraktion überdurchschnittlich viele Abgeordnete ausfallen.

Warum wird die Entscheidung über das Vorliegen einer „außergewöhnlichen Notlage“ im Präsidium getroffen?

Von Seiten der Linkspartei wurde kritisiert, dass das Präsidium die Macht erhält, über das Vorliegen einer „außergewöhnlichen Notlage“ zu entscheiden. Denn erstens tage das Präsidium nicht öffentlich und zweitens können sich die Mitglieder im Krankheitsfall nicht vertreten lassen.

Der Grund, weshalb die Wahl auf das Präsidium fiel, besteht darin, dass dieses sich schnell und flexibel koordinieren kann, um zügig auf eine sich entwickelnde Notlage zu reagieren. Für das Problem der Vertretung soll gemäß des Entschließungsantrags eine Lösung gefunden werden, sodass sie in Zukunft möglich wird. Dass die Entscheidung nicht öffentlich gefällt wird, halte auch ich für ungünstig. Vielleicht lässt sich in einer zukünftigen Regelung festschreiben, dass dieser Teil der Präsidiumsarbeit ausnahmsweise öffentlich sein soll.

Allerdings: Mit der Entscheidung des Präsidiums ist nur der allererste Schritt zu einer verkleinerten Landtagssitzung getan. Denn wie beschrieben steht es jeder und jedem einzelnen Abgeordneten stets frei, zu der entsprechenden Sitzung zu kommen. Auch die Fraktionen werden durch die Feststellung der Notlage nicht in ihren Rechten beschnitten, da sie eine solche Sitzung durch vollständiges Erscheinen oder durch Boykott verhindern können.

Die Entscheidung des Präsidiums hat also nur beschränkte Konsequenzen. Daher halte ich es für unkritisch, dass sie derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen wird, auch wenn dies insgesamt keine ideale Lösung darstellt.

Ist die Änderung der Geschäftsordnung unbefristet?

Nein, diese Regelung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2020 wieder außer Kraft (siehe §61a Absatz 3).

Kann das Notparlament die Befristung aufheben?

Nein, denn das Notparlament, das nur aufgrund der Ausnahmeregel (siehe §61a Absatz 1) beschlussfähig ist, kann die Geschäftsordnung des Landtages nicht ändern (siehe §61a Absatz 2).

Auch andere kritische Vorgänge, wie etwa eine Verfassungsänderung oder die Abwahl des Ministerpräsidenten, sind nicht möglich, da die dafür vorgesehenen Quoren sich immer an der Anzahl der gewählten Abgeordneten und nicht an der Anzahl der anwesenden Abgeordneten bemessen.

Was passiert nach dem 30. Juni 2020?

Nach dem 30. Juni 2020 tritt der komplette Paragraf 61a außer Kraft. Denn es ist die Aufgabe des regulär beschlussfähigen Landtages (mindestens 45 Abgeordnete), eine dauerhafte Regel für künftige Krisen zu schaffen.

Was passiert, wenn die COVID-19-Pandemie länger dauert als Juni 2020?

Um die Regelungen des Paragrafen 61a zu verlängern oder neue Regelungen zu etablieren, müsste der regulär beschlussfähige Landtag zusammentreten, um die Geschäftsordnung erneut zu ändern.

Gibt es Alternativen zu dieser Änderung der Geschäftsordnung?

Eine Reihe von Alternativen ist denkbar, aber unterschiedlich erstrebenswert.

Eine davon ist, nichts zu tun und die Geschäftsordnung unverändert zu lassen. Damit der Landtag Beschlüsse fassen kann, müsste also mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sein. Dann könnte es beispielsweise passieren, dass bei einer weiteren Verschlimmerung der aktuellen Lage die Hilfen für Betroffene nicht erweitert werden können, weil das Parlament handlungsunfähig ist.

Eine weitere Möglichkeit ist, die Geschäftsordnung des Landtages so zu ändern, dass Abgeordnete ihr Stimmrecht, ihr Rederecht und ihre anderen parlamentarischen Rechte wahrnehmen können, ohne selbst physisch im Plenarsaal anwesend zu sein. Dafür kann man Verfahren nutzen, die auch dank der Digitalisierung möglich geworden sind und in Unternehmen und zunehmend auch in anderen Parlamenten weltweit zum Einsatz kommen. Eines dieser Verfahren ist die Fernabstimmung, das andere die Weitergabe des Stimmrechts. Um diese Möglichkeiten auszuloten und auf den Weg zu bringen, haben wir den Entschließungsantrag verabschiedet.

Was ist Fernabstimmung („remote voting“)?

Fernabstimmung bedeutet, dass die Abgeordneten, die nicht physisch im Plenum anwesend sind, ihre Stimme per Telefon oder elektronisch abgeben können, und dass diese Stimme wie jede andere Stimme gezählt wird. Eine in Isolation festsitzende Abgeordnete könnte so weiterhin ihren Rechten und Pflichten als Abgeordnete nachkommen. Letzte Woche hat zum Beispiel das Europäische Parlament bereits drei Beschlüsse zur Fernabstimmung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie getroffen.

Wichtig für mich ist dabei, dass immer öffentlich nachvollziehbar ist, wer wie abgestimmt hat. Denn nur so kann jeder Verdacht auf falsche Auszählung der Stimmen von Anfang an verhindert werden. Für die Abgeordneten stellt dies keine Einschränkung dar: Denn auch in einer normalen öffentlichen Sitzung kann jede Person nachvollziehen, wie sich die einzelnen Abgeordneten bei Abstimmungen verhalten.

Was bedeutet die Weitergabe des Stimmrechts („proxy voting“)?

Die Weitergabe des Stimmrechts bedeutet, dass ein Abgeordneter sein Stimmrecht an eine Kollegin oder einen Kollegen abtreten kann und dass diese dann im Plenarsaal in seinem Auftrag die Stimme abgeben. Dieses Verfahren kommt ohne elektronische Mittel aus und wird beispielsweise im neuseeländischen Parlament praktiziert.

Kann Brandenburg „remote voting“ und „proxy voting“ in die Geschäftsordnung aufnehmen?

Bei einer Umsetzung dieser Konzepte sind die Verfassung des Landes Brandenburg sowie technische und organisatorische Bedingungen zu berücksichtigen. Außerdem müsste sich der Landtag entscheiden, ob diese Verfahren grundsätzlich zugelassen werden sollen oder nur in bestimmten Fällen wie beispielsweise in Notlagen. Bisher galt in Deutschland das Ideal der im Parlament körperlich anwesenden Abgeordneten, die einander gegenüber stehend ihre Argumente austauschen und danach aus freien Stücken ihre Stimme abgeben. Daher betrachten viele Menschen eine Änderung dieser Regel mit großer Skepsis. Sie müsste daher in einem regulären parlamentarischen Verfahren unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile ausführlich diskutiert werden.

Allerdings bieten neue Verfahren auch große Chancen – nicht nur in Krisenzeiten. Menschen, die bisher nicht oder nur mit großen Einschränkungen am parlamentarischen Leben teilnehmen konnten, hätten die Möglichkeit auf stärkere Integration. So können Abgeordnete, die beispielsweise den Mutterschutz in Anspruch nehmen oder an bestimmten Erkrankungen leiden und deshalb nicht vor Ort im Landtag sind, bisher nicht an Abstimmungen teilnehmen. Möglichkeiten, von fern oder per Stellvertreter*in abzustimmen, bieten hier Lösungen an.

Weitere Fragen? Einfach an kontakt@marie-schaeffer.de schicken. Gern ergänzen wir dieses FAQ!

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